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Stefan Zweig Die Weltminute in Waterloo [03.09.2022]
Updated: Dec 22, 2022

[Haus zum Rosengarten. Bild von Flamur Shala am 11.06.2022]
[Gedanken zum Grundeinkommen von Flamur Shala bis zum 03.09.2022]
"Napoleon 18. Juli 1815: Das Schicksal drängt zu den Gewaltigen und Gewalttätigen. Jahrelang macht es sie knechtisch gehorsam einem Einzelnen hörig. Cesar, Alexander, Napoleon. Den es liegt dem elementaren Menschen der ihm selber ähnlich wird: dem unfassbaren Element. Manchmal aber ganz selten in allen Zeiten wirft es sich irgendeinem Gleichgültigen sich hin. Manchmal und dies sind die erstaunlichsten Augenblicke der Weltgeschichte fällt der Fatum des Fadens für eine zuckende Minute in eines ganz nichtigen Hand. Immer sind dann solche Menschen mehr erschreckt als beglückt von dem Sturm der Verantwortung. Der sie in heroischen Weltspiel lenkt und fast immer lassen sie das zugeworfene Schicksal zitternd aus den Händen. Selten nur reisst einer die Gelegenheit mächtig empor und sich selber mit ihr. Denn bloss eine Sekunde lang gibt sich das Grosse hin an den Geringen. Wer sie versäumt, den begnadet sie nie mehr ein zweites Mal."
"Keine sichtbare Eigenheit gibt ihm Ruhm und Stellung in der heroischen Welt der Napoleonischen Legende. Nur sein Unglück, nur sein Missgeschick hat ihn berühmt gemacht. 20 Jahre hat er gekämpft von Spanien bis Russland, von Holland bis Italien. Langsam ist er die Staffel bis zur Marschallswürde aufgestiegen. Nicht unverdient aber ohne sonderliche Tat."
"Denn gleichzeitig mit jener Verfolgung ist [Emmanuel de] Grouchy geboten ständig in Verbindung mit der Hauptarmee zu bleiben. Zögernd übernimmt der Marschall den Befehl. Er ist nicht gewohnt selbstständig zu wirken. Seine Besonnenheit ohne Initiative fühlt sich nur sicher wenn der geniale Blick des Kaisers ihr die Tat zuweist. Ausserdem spürt er im Rücken die Unzufriedenheit seiner Generäle, vielleicht auch vielleicht den dunklen Flügelschlag des Schicksals. Nur die Nähe des Hauptquartiers beruhigt ihn. Den bloss drei Stunden Eilmarsch trennen seine Armee von der Kaiserlichen." [Er hat den Auftrag dem Kaiser zur Hilfe zu eilen.]
"Und noch nichts ist erreicht als Erschöpfung Hüben und Drüben. Beide Herre sind ermüdet, Beide Feldherren beunruhigt, beide wissen dass dem der der Sieg gehört, der zuerst Verstärkung empfängt. Wellington von Blücher, Napoleon von Grouchy. Immer wieder greift Napoleon nevrös zum Teleskop. Immer neue Ordonannzen jagt er hinüber. Kommt sein Marschall rechtzeitig heran, so leuchtet über Frankreich noch einmal die Sonne von Austerlitz."
"Der Fehlgang Grouchy's" [Wie kann in der Erziehung zögerhaftes Verhalten vermieden werden? Welchen Einfluss wird das Grundeinkommen auf solche Verhaltensweisen haben? Werden wir danach zögerhafter? Oder eher nicht? Kann so etwas durch das Grundeinkommen gesteuert werden? Wie können mit dem Grundeinkommen solche Fehlgänge verhindert werden?]
"Der Beginn von Waterloo. Grouchy hält Rat. Heiss und feurig verlangt Gerard sein Unterbefehlshaber 'Il faut marché aux canons!' Rasch hin in die Richtung des Geschützfeuers! Ein zweiter Offizier stimmt zu: 'Hin nur rasch hinüber!'. Es ist für sie alle zweifellos dass der Kaiser auf die Engländer gestossen ist und eine schwere Schlacht begonnen hat. Grouchy wird unsicher. An Gehorchen gewöhnt hält er sich ängstlich an das geschriebenen Blatt an den Befehl des Kaisers die Preussen auf ihrem Rückzug zu verfolgen. Gerard wird heftiger als er sein Zögern sieht. 'Marché aux canons!'. Wie ein Befehl klingt die Forderung des Unterkommandanten vor 20 Offizieren und Zivilisten. Nicht wie ein Bitte. Das verstimmt Grouchy. Er erklärt härter und strenger nicht abweichen zu dürfen von seiner Pflicht solange keine Gegenorder vom Kaiser eintreffe. Die Offiziere sind enttäuscht. Und die Kanonen poltern in ein böses Schweigen. Da versucht Gerard sein letztes: er bitte flehentlich, wenigstens mit einer Division und etwas Kavalliere hinüber auf das Schlachtfeld zu dürfen. Grouchy überlegt. Er überlegt eine Sekunde lang. Weltgeschichte in einem Augenblick."
"Eine Sekunde überlegt Grouchy. Und diese eine Sekunde formt sein eigenes Schicksal, das Napoleons und das der Welt. Sie entscheidet. Diese Sekunde im Bauernhaus von Wallheim. Über das ganze 19. Jahrhundert. Und sie hängt an den Lippen und Sterblickheit eines recht braven, recht banalen Menschen."
"...die ganze Artillerie aus dem schreienden Schaum von Angst und Entsetzen. Und nur die einbrechende Nacht rettet dem Kaiser Leben und Freiheit. Aber der dann Mitternachts verschmutzt und betäubt in einem niederen Dorfswirtshaus müde in den Sessel fällt, ist kein Kaiser mehr. Sein Reich, seine Dynastie, sein Schicksal ist zu Ende. Die Mutlosigkeit eines kleinen, unbedeutenden Menschen hat zerschlagen was der Kühnste und Weitblickendste in 20 heroischen Jahren erbaut. Rücksturz ins tägliche."
"Nur einer weiss am nächsten Morgen noch nichts von Waterloo. Ob zwar nur vier Stunden weit vom Schicksalsort: der unglückselige Grouchy. Beharrlich und planmässig ist er genau nach dem Befehl den Preussen nachgerückt. Aber sonderbar: er findet sie nirgends. Das wirft Unsicherheit in seinen Befehl. Und immer noch poltern von Nahe her die Kanonen: als schrien sie um Hilfe. Sie spüren die Erde beben und sie spüren jeden Schuss bis ins Herz."
"Er ist zu spät gekommen. Zu spät für immer."
"Er ist zu spät gekommen. Zu spät für immer." [Wie kann das Entscheidung treffen antrainiert werden?]